Die Anklage wird geführt von
Prof. Thomas Szasz
, USA, und Prof. George Alexander, USA.


Zusammenfassung der Anklage des Russell Tribunals
zur Frage der Menschenrechte in der Psychiatrie
Juni/Juli 2001 im Urania-Haus, An der Urania 17, 10787 Berlin

Sachverhalt:

1.    Psychische Krankheit ist eine rechtlich-psychiatrische Fiktion. Bezöge sich der Begriff psychischer Krankheit auf eine Hirnkrankheit, müßte der rechtliche Status und die medizinische Versorgung der Patienten dieselben sein wie die anderer Patienten mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems; die Spezialisten dafür sollten "Neurologen" sein oder so genannt werden.

2.    Psychiatrisches Handeln beruht auf den zwei Säulen der Zwangseinweisung und der strafrechtlichen Schuldunfähigkeit. Keiner der beiden Eingriffe dient den Interessen des Patienten. Beide Eingriffe dienen den Interessen der Gegner des Patienten, und/oder der Familie oder der Gesellschaft.

3.    Die Fiktion psychischer Krankheit erzeugt unausweichlich ihr Korrelativ, die Fiktion psychiatrischer Behandlung. In Kombination mit Zwang (Zwangseinweisung), wird das Konzept psychiatrischer Behandlung zur bereitstehenden Waffe in der Hand der Familie oder des Staates, um solche Personen zu kontrollieren, zu bestrafen und zu zerstören, die von denen unerwünscht sind, die das psychiatrische Vokabular besetzt haben und es beherrschen,  insbesondere von den politischen Herrschenden. Außerhalb der Fiktion der Behandlung einer Krankheit, würde solches Verhalten als Folter erachtet werden.

4.    Artikel 18 der UN Menschenrechtserklärung garantiert jedem des Recht auf Gedankenfreiheit. Diese Garantie ist nicht beschränkt auf Gedanken, die staatlicherseits für gesund gehalten werden, und beinhaltet nicht, daß eine Person beweisen müßte, daß sie nicht an einer "psychischen Krankheit" leidet. Die Grundprinzipien der Psychiatrie und ihre Ausübung stellen eine schwere, fortdauernde Verletzung dieses Artikels der UN Menschenrechtserklärung dar.

5.    Die Rolle, die Psychiater als medizinische Richter und Henker in Nazi-Deutschland gespielt haben, ihre Rolle als Richter, Gefängnisaufseher und Folterer in der Sowjetunion, im kommunistischen China und in anderen sogenannten demokratischen Ländern, haben die unausweichlichen Konsequenzen der momentan akzeptierten psychiatrischen Prinzipien und Praktiken veranschaulicht.

Anklage:

Die Psychiatrie nimmt für sich in Anspruch, es gebe eine wissenschaftliche Begründung dafür, ein Verhalten als medizinische Krankheit zu behandeln, das von Psychiatern für anormal gehalten wird; sie nimmt für sich in Anspruch, Personen ohne ihr Einverständnis und gegen ihren erklärten Willen zu "behandeln", die sie als krank identifiziert hat. Diesem Vorwurf entsprechend erheben wir Klage gegen die psychiatrische Profession und gegen Psychiater als Personen und Ärzte wegen der folgenden Vergehen gegen die Menschlichkeit:

Psychiatrie,
a)   macht den psychiatrischen Berufsstand zur letzten Entscheidungsinstanz über Abnormalität und verkehrt dabei sozial-normative Beurteilungen in pseudo-medizinische, die angeblich nur Psychiater zu fällen qualifiziert seien;

b)   schafft einen neuen Status genannt "psychische Krankheit", der aus Nachlässigkeit oder aus böswilligen und paternalistischen Gründen zugeschrieben werden kann; da es für „psychische Krankheit“ keine physischen Merkmale gibt, kann der Beschuldigte nicht einmal den Gegenbeweis der sogenannten "Diagnose" antreten. Psychiatrie schafft so den Status menschlicher Unterwürfigkeit denen gegenüber, die legitimiert sind, festzulegen, wer psychisch krank sei;

c)   entmenschlicht und entlegitimiert als "psychisch krank" charakterisierte Personen, indem man erklärt, sie seien für ihre illegalen oder unmoralischen Handlungen nicht verantwortlich;

d)   verzerrt das Konzept persönlicher Verantwortung dadurch, daß sie Personen, die eines Verbrechens angeklagt sind, sogar den Schutz des Strafprozesses nimmt, um ihn durch eine inquisitorische Untersuchung ihrer "geistigen Gesundheit" zu ersetzen, mit dem Ziel, sie für psychisch krank zu erklären;

e)   unterstützt die psychiatrische Einsperrung derer, die sie im Zusammenhang mit einem von ihnen begangenen Verbrechen für unzurechnungsfähig befunden hat. Dies zieht eine oftmals härtere Strafe und längere Verweilzeiten in Anstalten nach sich als der Angeklagte nach der Strafprozessordnung zu erdulden hätte;

f)     unterstützt Schutzhaft, indem sie im Namen normativ verfügter geistiger Gesundheit ein weitreichendes Netz zukünftig drohender Gefahren auswirft, und täuscht vor, dies sei eine wirksame Methode, Menschen davon abzuhalten anderen Schaden zuzufügen;

g)   stigmatisiert die, welche sie als "psychisch krank" ausgemacht hat, und gibt damit anderen Handhabe, deren politische Ansichten zu verunglimpfen, ihnen die Arbeit zu verweigern oder sie in anderer Weise zu mißhandeln;

h)   unterzieht diejenigen, die sie als "psychisch krank" bezeichnet, erzwungenen Eingriffen, beschönigend genannt "Behandlung", trotz deren Weigerung behandelt zu werden, und ermutigt die Verabreichung von bewußtseinsverändernden Substanzen an nicht eingesperrte Personen im Status sogenannter "out patients", um die psychiatrische Sichtweise zu bestärken, daß deren (schlechtes) Benehmen eine Krankheit sei und um sie gefügiger zu machen;

i)      unterstützt durch die Diagnose einer psychischen Krankheit die rechtlichen Schritte einer Zwangsentmündigung, mit der Konsequenz der Enteignung so diagnostizierter Personen.

Eine unmittelbare Auswirkung dieser Prämissen war die von Psychiatern im Deutschland der 30iger Jahre initiierte Vernichtung sogenannter "Unerwünschter". Psychiatrische Prinzipien und Praktiken halfen auch der Sowjetunion und helfen nun der kommunistischen Regierung von China, ein System der Einsperrung, Folter und Verunglimpfung von Dissidenten als medizinische Behandlung zu tarnen. Dieselben psychiatrischen Prinzipien und Praktiken haben die USA und viele andere Länder zur Verweigerung von Menschenrechten ermutigt und tun dies weiterhin.

Wir fordern, daß Psychiater ihre kollektive und individuelle Verantwortung für diese Greueltaten in der Vergangenheit und heute anerkennen und sofortige Schritte unternehmen, die Unterstützung und Teilhabe der Profession daran zu beenden.

24/2/2001 Thomas Szasz und George Alexander

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